SICHERE STRASSENBAHNPROJEKT

SNCF und Île-de-France Mobilités setzen auf HIMA-Steuerungen

Ein Umdenken in der regionalen Verkehrspolitik führt zu einem Erstarken lange Zeit tot geglaubter Straßenbahn-Konzepte. Gelingt es, die früher isolierten Straßenbahnen mit dem Eisenbahnnetz zu vernetzen, ist ein wichtiges Ziel in der Raumplanung erreicht. Standardisierte und in Serie produzierte Sicherheitssteuerungen helfen dabei, indem sie Sicherheit auf SIL4-Niveau mit niedrigen Investitionskosten kombinieren, wie das Beispiel der neuen Linien T12 und T13 im Großraum Paris zeigt.

Am 12. Januar 1913 schickten die Pariser ihre letzte von Pferden gezogene Bahn für immer ins Depot. Doch scheinbar hatten die Bürgermeister in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg immer noch Pferde vor dem geistigen Auge, als sie über das Schicksal der mittlerweile elektrifizierten Straßenbahnen entschieden. Auf jeden Fall rümpften sie ihre Nasen und verbannten das Nahverkehrsmittel auf oberirdischen Gleisen erneut ins Depot. Dort blieben sie erst einmal und dem Auto wurde für viele Jahrzehnte Vorrang in den Innenstädten Europas eingeräumt. Wurden um 1945 noch in etwa 500 europäischen Städten Straßenbahnen betrieben, nutzte drei Jahrzehnte später kaum eine Stadt in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal oder Italien dieses Transportmittel für seine Bürger. 320 Netze waren aus den Fahrplänen europäischer Städte verschwunden.

Heute wird die Lage vielerorts neu diskutiert. Die Vorteile des städtischen Schienenverkehrs werden gesehen und Nachteile aktiv angegangen. Klar ist, dass Bau und Betrieb deutlich günstiger und umweltfreundlicher sind als bei U-Bahnen. Auch sind Straßenbahnen in der Regel schneller, pünktlicher und emissionsärmer als Busse. Anfangsinvestitionen sind zwar deutlich geringer als bei U-Bahnen, allerdings liegen auch oberirdisch die Ausgaben für Schienenwege, notwendige Depots und Werkstätten schnell bei einer halben Milliarde Euro. Hinzu kommt die mangelhafte Kompatibilität aufgrund unterschiedlicher Schienensysteme bzw. Spurweiten, die eine Durchgängigkeit erschwert. Auch die traditionell sehr aufwändigen Signalanlagen erfordern hohe Ausgaben in entsprechende Technik.

Mobility-as-a-Service am Beispiel Paris

Mittlerweile überzeugt die Summe der Vorteile der gemütlichen Kabinen auf Schienen Politiker, Raumplaner und Stadträte, was zu einer Renaissance der Straßenbahn führte. Das gilt auch für Paris und den Großraum Île-de-France, einem Ballungsraum, der bis in die 1990er Jahre sein Netz fast ausschließlich aus Métro, Linienbus und S-Bahnen gewoben hatte. Dann änderte der wachsende Druck aus stetig steigender Nutzerzahl und vielerorts verstopfter Straßen die Stimmung wieder in Richtung Straßenbahn. Mit dem Ziel, dem Netz weitere bezahlbare Knotenpunkte hinzuzufügen, ergänzen seit 1992 auch sie wieder die Fahrpläne der Pariser. Heute nutzen wieder Tag für Tag mehr als eine Million Fahrgäste der Metropolregion dieses klassische Mobilitätsangebot – Tendenz steigend.

Der Ausbau des Pariser Streckennetzes mit Hilfe der Tramway, wie die Straßenbahn in Frankreich genannt wird, folgt dabei einer strategischen Entscheidung des Betreibers Île-de-France Mobilités (IDFM): Die Ambition von Mobility-as-a-Service (MaaS) umzusetzen. Dazu gehört es aus Sicht des Unternehmens als Akteur der dienstleistungsorientierten Mobilität aufzutreten und den Reisenden ein digitales MaaS-Ökosystem anzubieten. Um dieses Ziel zu erreichen, investieren die Franzosen nicht nur in digitale Infrastruktur, sondern auch große Summen in den physischen Ausbau des Schienen-Angebotes: Im Rahmen des Mobilitätsprogramms stehen zwei neue Linien im Großraum Paris kurz vor ihrer offiziellen Inbetriebnahme.

Betreiber IDFM und SNCF errichten vernetzte Systeme

Im Westen und Südwesten bauen Betreiber IDFM und Transportunternehmen SNCF die Linien T12 und T13. Das Besondere ist die Vernetzung der bislang getrennten Systeme Straßenbahn und Zug: Die T12 wird im Streckenabschnitt Massy - Épinay-sur-Orge auf einer Eisenbahnstrecke fahren und hier eine Teilstrecke der S-Bahn übernehmen. Und auch die T13 nutzt adaptierte Mehrsystemfahrzeuge, sodass die vorhandenen Fahrzeuge in das jeweils andere System übergehen können. So entstehen umsteigefreie Direktverbindungen zwischen innerstädtischen Straßenbahnsystemen und regionalen Eisenbahnstrecken.

Mit diesem Ziel ergeben sich für die Projektpartner neben genehmigungsrechtlichen Aspekten einige weitere Herausforderungen: Das Personal muss als Triebfahrzeugführer und Straßenbahnfahrer ausgebildet sein, Radreifen müssen auf Weichen und der Breite der Rillenschienen abgestimmt werden. Stromsystem, Lichtraumprofil, Bahnsteighöhe, Beleuchtung und Warnsignale müssen bedacht werden. Die neuen Wagen der Linien T12 und T13 haben daher sowohl die Eigenschaften einer Straßenbahn (Lichtraumprofil, Beschleunigung, Bremsen) als auch die eines Zuges (Höchstgeschwindigkeit, Sicherheitseinrichtungen an Bord).

Das Herz der Sicherheitstechnik schlägt in den Depots

Ein besonderer Fokus lag bei dem T12/T13-Projekt auf der Sicherheitstechnik. Um den Verkehr der Straßenbahnen unter perfekten Sicherheitsbedingungen zu gewährleisten, wurden eine zentrale Leitstelle in den jeweiligen Depots Massy (T12) und Versailles (T13) eingerichtet, letztes nur wenige hundert Meter vom Schloss Ludwigs XIV. entfernt.

Zudem entschieden die Verantwortlichen ein herstellerunabhängiges Eisenbahn-Signalsystem aufzubauen.

Diese Feststellung sowie zahlreiche Referenzen führte bei SNCF zur Entscheidung, Signalanlagen des Typs „Stadt“ zu verwenden, was zur Verringerung der CAPEX um den Faktor 2 im Vergleich zu bestehenden Lösungen (PIVOS oder PRS) geführt hat.

"Beim Bau der zwei neuen Depots für die Straßenbahnen T12 und T13 lautete unser Ziel, sie mit einer Signalanlage auszustatten, die alle Bedürfnisse des Betriebs erfüllt: kostenoptimiert und gleichzeitig vollkommen sicher. Allerdings wären die klassischen Systeme PIVOS und PRS zwar funktionell geeignet, aber viel zu teuer und zu komplex in der Umsetzung."

Vincent Rocca, Betriebsleiter Systeme bei SNCF

Sicherheit nach SIL4/ CENELEC

Mobility Rail Safety Systems realisierte im Auftrag von SNCF die Signalsysteme für diese beiden Eisenbahn-Projekte schlüsselfertig, basierend auf Sicherheitssteuerungen des Niveaus SIL4 nach CENELEC der Sicherheitsexperten des Herstellers HIMA. Die zertifizierten speicherprogrammierbaren Sicherheitssteuerungen werden von HIMA als Commercial-off-the-Shelf-Produkte (COTS) Produkte angeboten, die Endkunden und Integratoren Unabhängigkeit, Flexibilität und Kostenersparnis ermöglichen und sich in unterschiedlichste Lösungen einfach einbinden und pflegen lassen. Als Herzstück sorgen die HIMA-Systeme für die funktionale Sicherheit und IT-Security in Applikationen wie z.B. bei Bahnübergängen, Stellwerken und Rolling Stock.

„Es handelt sich um ein komplett offenes System, das auch nicht das Eigentum von Mobility ist. Damit ist SNCF in der Lage das System weiterzuentwickeln, oder die Weiterentwicklung an Dritte zu übergeben.

Die von uns verwendeten Geräte verfügen über alle Garantien in Bezug auf das Niveau der Sicherheit und Langlebigkeit. Und es ist wichtig zu betonen, dass dieses Signalsystem mit dem nationalen Eisenbahnnetz (RFN) über eine Schnittstelle verbunden ist, deren Prinzip von der SNCF entwickelt, von Mobility umgesetzt und schließlich von den SNCF-Experten validiert wurde.“

Stéphane Berthet, Unternehmensleiter Mobility Rail Safety Systems

Bedenken waren schnell ausgeräumt

Diese Vorgehensweise stieß zu Beginn in der sehr traditionell denkenden Bahnindustrie nicht auf uneingeschränkte Zustimmung: „Dieser neue und innovative Ansatz rief auf Seiten der SNCF zu Beginn gewisse Zweifel hervor“, erinnert sich Vincent Rocca, Betriebsleiter Systeme bei SNCF. Doch jetzt am Ende des Projekts zieht er ein positives Fazit:

  • HIMA_Flexibel
    Die Teams, die ursprünglich aus dem Stadtverkehr kamen, lernten, sich an die Eisenbahnumgebung der SNCF anzupassen
  • HIMA_Fehlertolerant
    Das Team hat sich mit Vorschlägen eingebracht und das System hat seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt
  • Der Zeitplan wurde eingehalten
  • HIMA_Kosten_einsparen
    SNCF verfügt nun über eine Signalstation mit einem wettbewerbsfähigen Preis, die der Stufe SIL4 entspricht und Schnittstellen zum nationalen Eisenbahnnetz herstellen kann

Und auch Berthet, Unternehmensleiter Mobility Rail Safety Systems, sieht nur Gewinner: „Unsere Zuversicht bei Mobility ist seit vielen Jahren, dass die im städtischen Bereich verwendeten Technologien, also Métro und Straßenbahn, auch für schwere Eisenbahninfrastrukturen, die mit dem nationalen Eisenbahnnetz vernetzt sind, geeignet sind. Dieses Projekt demonstriert dies und schafft damit einen Präzedenzfall für Technikzentren, Versorgungswege, ITEs, Häfen und dünn besiedelte Regionen.“

Insgesamt werden so die Anschaffungs- und Betriebskosten gesenkt, die Anlagen sind schnell einsatzbereit und verfügen über eine kontrollierte Schnittstelle zum nationalen Schienennetz – und das alles, ohne in einer proprietären Lösung gefangen zu sein.

Der schlüsselfertige Lösungsansatz also Planung, Einrichtung, Arbeiten, Inbetriebnahme durch einen einzigen Lösungsanbieter ist ein völlig neuer Ansatz für die SNCF. Auch ist die Wartungsstrategie kein kritischer Aspekt mehr, der an einen Lösungsanbieter gebunden wäre. Der Betreiber kann je nach seinen Bedürfnissen und Ressourcen die passende Strategie wählen. Und durch die Offenheit des Systems kann sich der Betreiber darauf verlassen, dass das System aktualisiert und geändert werden kann, und zwar nicht nur durch den Lösungsanbieter.

Die statischen Tests des T12-Depots sind seit November 2021 abgeschlossen, die dynamischen Tests sind für Januar 2022 geplant. Die vollständige Zulassung mit nationaler Netzschnittstelle des T13-Depots folgt ebenfalls ab Juli 2022. Die kommerzielle Inbetriebnahme beider Straßenbahnen ist für Ende 2023 geplant.

Zwar reichen die Straßenbahnprojekte wie diese in Paris noch nicht, um alle einst verschwundenen 320 Netze in Europa wieder auf den Landkarten erscheinen zulassen. Eines aber steht wohl fest: Solche High-Tech-Projekte verwechselt kein Bürgermeister mehr mit Pferdebahnen von vorgestern.

 

 

Sicher und Zertifiziert

Für Signalanlagen, Stellwerke, Bahnübergänge oder Schienenfahrzeuge: Je nach Anforderung eignet sich die Sicherheitssteuerung HIMatrix oder HIMax am besten. HIMatrix ist ein kompaktes System, das sowohl zentral als auch dezentral eingesetzt wird. Es hält Temperaturschwankungen von -25° C bis +70° C stand. HIMax wird in größeren Anwendungen wie in kompletten Bahnhöfen eingesetzt. Mit dieser Steuerung lassen sich redundante Architekturen aufbauen: Selbst, wenn ein Controller ausfallen sollte, läuft das Sicherheitssystem weiter. Mit diesen COTS-Systemen von HIMA sparen Kunden bei Stellwerkslösungen fast ein Drittel ihrer Kosten ein. Sowohl HIMatrix als auch HIMax sind bereits vom TÜV vorzertifiziert und lassen sich daher ohne zusätzliche Prüfung einsetzen. Wenn Anwendungen nachträglich geändert werden, muss die HIMA-Hardware nicht erneut zertifiziert werden.

HIMA-Steuerungen erfüllen alle relevanten Bahnnormen nach CENELEC:

  • EN 50126 für das Gesamtsystem
  • EN 50128 für Software
  • EN 50129 für Hardware
  • EN 50155 und IEC 61373 für Rolling-Stock-Anwendungen

DEPOT UND LEITWARTE

Herzstücke der Linien T12 und T13

Der Wartungs- und Abstellplatz (SMR) umfasst neben dem Depot eine große Wartungswerkstatt und eine Leitstelle. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den Verkehr zu steuern und zu regeln, die Fahrer zu unterstützen, die Sicherheit zu gewährleisten und die Fahrgäste zu informieren, aber auch Störfälle zu bewältigen. Über den Betrieb der Straßenbahn hinaus wird sie 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche besetzt sein, um alle Eingriffe auf der Strecke zu überwachen, insbesondere Wartungsarbeiten an den Gleisen. Die Leitstelle wird von etwa zehn Personen bedient: Fahrdienstleiter der Straßenbahn, Fahrgastinformationsmitarbeiter, Sicherheitspersonal und eine Aufsichtsperson.

 

 

Depot-Leistung in Zahlen

Depot T12/SMR Massy

  • Kapazität von 29 einfachen Einheiten
  • 23 Weichen, 29 Signale, 38 kurze Gleisstromkreise, 5 optische Sicherheitsschranken
  • Eine Verbindung zum nationalen Eisenbahnnetz (RFN)
  • Geplante Erweiterung des Depots für einen zweiten Anschluss an das nationale Eisenbahnnetz
  • Kapazitätsleistungen: 79 einfache Fahrten und 384 zusammengesetzte Fahrten

 

23
Weichen
29
Signale
384
Zusammengesetzte Fahrten

Depot T13/SMR Versailles

  • Kapazität von 12 einfachen Einheiten
  • 13 Weichen, 8 Signale, 8 kurze Gleisstromkreise, 1 Achszähler
  • Eine Verbindung zum nationalen Eisenbahnnetz (RFN)
  • Geplante Erweiterung des Depots zur Verdoppelung der Kapazität
  • Kapazitätsleistungen: 17 einfache Fahrten und 13 zusammengesetzte Fahrten
13
Weichen
8
Signale
13
Zusammengesetzte Fahrten

Langjährige Zusammenarbeit

Mobility Rail Safety Systems setzt HIMA PLCs seit einigen Jahren erfolgreich in französischen Netzen ein:

  • Lyon, Depot Meyzieu, 2005
  • Luxemburg, Linie 1 und Depot (+ 3 Erweiterungen) seit 2017
  • Nizza, Linie 2 und 3 und Depot, seit 2018
  • Caen, Linie 1, 2 und 3 und Depot, seit 2019
  • Bordeaux, Verlängerung der Linie zum Flughafen in Arbeit

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