23.07.2021

Max Bögl setzt beim Personentransportsystem TSB auf Commercial-off-the-shelf (COTS) Systeme von HIMA

Von seiner Konzeption her ist das TSB für den urbanen Personennahverkehr mit Streckenlängen zwischen einem und 50 Kilometern ausgelegt und setzt dabei auf Magnetschwebebahntechnologie (kurz Maglev: Magnetic Levitation). Das TSB ist als fahrerloses, automatisches Personentransportsystem mit asynchronem Kurzstator-Linearantrieb konzipiert. Dies bedeutet, dass beim TSB im Gegensatz zu älteren Systemen wie z.B. dem Transrapid der aktive Teil des Systems im Fahrzeug verbaut wird und nicht im Fahrweg. Es besteht aus einem elektromagnetischem Schwebesystem mit kombinierter Trag- und Führfunktion die zusammen mit zwei oder mehr angetriebenen Sektionen das komplette Fahrzeug bilden. Pro Fahrzeugabteil können bis zu 127 Personen befördert werden. Anders als Magnetschwebebahnen, die mit eher langsamen Geschwindigkeiten – etwa an Flughäfen –  eingesetzt werden, ist die maximale Geschwindigkeit des TSB mit bis zu 150 km/h deutlich höher und stellt somit auch wesentlich größere Anforderungen an die Sicherheitstechnik. Das TSB, dessen Entwicklung 2010 begann, ist zudem für den automatischen Betrieb ohne Personal ausgelegt. Im Laufe der Entwicklung kam es im Herbst 2013 zu einem ersten Treffen mit HIMA, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bahn-Sicherheitstechnik zu besprechen.

50
bis 50 km Streckenlänge
1.500
Fahrgäste pro Abteil
150
km/h

TSB entspricht mit HIMA COTS-Steuerungen den höchsten Sicherheitsanforderungen

HIMA stellte Max Bögl bereits im Jahre 2013 die Entwicklungs-Roadmap und die künftigen Pläne für Entwicklungen vor. Im Rahmen einer sehr frühen Abstimmung wurden die Grundlagen für eine effektive Zusammenarbeit beider Unternehmen gelegt. Um einen absolut zuverlässigen Betrieb des TSB realisieren zu können, entschied sich Max Bögl schließlich für HIMA COTS-Steuerungen vom Typ HIMax und HIMatrix, die entsprechend EN 50126, 50128 und 50129 für den Einsatz bis zur höchsten Sicherheitsstufe SIL4 zertifiziert sind. Bei sogenannten COTS-Steuerungen handelt es sich um standardisierte Systeme, die in hoher Stückzahl produziert werden und sich bereits in zahlreichen sicherheitskritischen Anwendungen auch außerhalb der Bahnindustrie bewährt haben. Durch Verwendung von Standard-Komponenten sind Bahnbetreiber zudem flexibel in der Auswahl der Lieferanten einzelner Sub-Systeme. Zudem verbindet die HIMA mit den Produkten der Smart Safety Platform Funktionale Sicherheit und Security-Aspekte in einer Weise miteinander, sodass HIMA-Lösungen im digitalen Umfeld effektiv gegen Cyberangriffe geschützt sind. Mit der Smart Safety Platform von HIMA können Bahnbetreiber die Steuerungen individuell skalieren und kombinieren sowie schnell auf geänderte Sicherheits- oder gesetzliche Anforderungen reagieren.

Erste TSB-Teststrecken und positive Bescheide des Eisenbahn-Bundesamts

Von Beginn an hat Max Bögl die TSB-Magnetbahntechnik konsequent auf höchste Sicherheitsstandards hin entwickelt. Seit 2012 gibt es in Deutschland am Hauptsitz von Max Bögl in Sengenthal eine Teststrecke, die in mehreren Schritten auf die derzeitige Gesamtlänge von 860 m ausgebaut wurde. Im Probebetrieb wurden dort bislang 125.000 Einzelfahrten mit 85.000 Kilometern erfolgreich absolviert. In China ist bereits eine
3,5 Kilometer lange Demonstrationsstrecke in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan in Betrieb. China ist ein wichtiger potentieller Markt für TSB: Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern stellt China das bevölkerungsreichste Land der Erde da. Städte wie Shanghai haben heute schon Einwohnerzahlen von über 23 Millionen Menschen. Die chinesische Regierung hat geräuschlose Nahverkehrssysteme als strategisch wichtige Technologie für ihr Land eingestuft. Es ist daher geplant, People Mover gerade auch mit oberirdischer Trassenführung einzuführen. Nahverkehrstransportsysteme mit oberirdischer Trassenführung sind aufgrund der wesentlich geringeren Tiefbauarbeiten im Vergleich wesentlich günstiger als herkömmliche U-Bahnen und können zudem auch ohne Geräuschbelästigung und Erschütterungen direkt durch Wohngebiete laufen.

Im August 2020 erhielt Max Bögl vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) für wesentliche Teile des Fahrzeugs und des Fahrwegs die Zusicherung, dass diese die Anforderungen erfüllen und damit zulassungsfähig sind. Im Oktober 2020 sicherte das EBA dann auch zu, dass auch die Spezifikationen der TSB-Betriebsleittechnik die Anforderungen an eine spätere Typzulassung erfüllen. Als nächster Schritt würde dann die Betriebsgenehmigung für eine erste Anwendungsstrecke des TSB in Deutschland folgen. Die bereits erteilten Bescheide des EBA sind dafür wichtige Voraussetzungen. Von besonderer Bedeutung ist auch die internationale Anerkennung des EBA als Zulassungsbehörde und die von ihm geforderten höchsten Standards. Das eröffnet Max Bögl die Möglichkeit vereinfachter Zulassungsverfahren auch in anderen Ländern. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass z.B. auch die chinesischen Behörden bei Ihrer Zulassung des TSB in China die vom EBA geprüften technischen Unterlagen als Vorprüfung berücksichtigen werden. Unterstützt wird die Firmengruppe Max Bögl dabei vom chinesischen Kooperationspartner Xinzhu.

 

 

TSB als Beispiel für Future Mobility

Das TSB ist aufgrund der verwendeten Magnetschwebebahntechnologie kaum hörbar und es gibt nur geringe Schall- und Erschütterungsemissionen. Der Grund: Gegenüber herkömmlichen Systemen vermeidet das TSB die hohen Lasten am Kontaktpunkt Rad-Schiene, welche die Hauptursache für Vibrationen und Lärm sind. Stattdessen leitet das Transportsystem die Lasten berührungslos gleichmäßig verteilt in den Fahrweg ein. Das TSB ist dadurch sehr leise und kommt mit deutlich kleineren Unterbauten für den Fahrweg aus. Das berührungslose Schweben hat darüber hinaus wesentliche Vorteile: Es gibt keinen mechanischen Verschleiß und daher nur geringe Instandhaltungskosten.

Der Fahrweg fügt sich zudem in aufgeständerter, ebenerdiger oder unterirdischer Bauweise gut in urbane Räume ein und ist mit einem Träger von 1,2 Metern Höhe und 23,5 Metern Länge relativ niedrig und leicht. Die Trassenführung kommt darüber hinaus ohne Oberleitung aus.

Mit dem TSB wollen wir ein effizientes, schlüsselfertiges Komplettsystem liefern, das die Zukunft der Mobilität neu definiert. Wir übernehmen alles von der Planung über die industrielle Fertigung des Fahrwegs und des Fahrzeugs, der Montage vor Ort bis hin zum Betrieb des Systems.

Dr. Bert Zamzow, Bereichsleiter Transport System Bögl

Einsatz von COTS-Steuerungen beim TSB

Ein wichtiger Vorteil für Max Bögl besteht darin, das HIMA in der Lage ist, alle für die Bahn-Sicherheitstechnik relevanten Produkte und Dienstleistungen aus einer Hand zu liefern. Neben den CENELEC SIL4 entsprechenden COTS-Steuerungen HIMax und HIMatrix, stellte HIMA bei der Implementierung in den TSB auch technische Unterstützung zur Verfügung. Darüber hinaus versorgte HIMA die Firmengruppe Max Bögl auch mit Vorabversionen der Software für die genannten Steuerungen. Die Entwickler des TSB konnten so mit den Neuerungen planen und wiederum HIMA Feedback geben. Dadurch profitieren beide Seiten durch diesen Austausch. Ebenso konnte Max Bögl auf das erprobte SilworX Engineering Tool von HIMA und den HIMax Safety Simulator X-OTS bei der Entwicklung und Erprobung des TSBs bauen. HIMA unterstützte Max Bögl ebenso hinsichtlich aller Fragen zum Umgang mit den Systemen. Die Applikation mit den COTS-Steuerungen wurde durch Ingenieure bei Max Bögl dann komplett eigenständig durchgeführt.

Die Steuerungen sind sowohl „On-Board“ in den TSB-Testfahrzeugen als auch „On-Track“ an der Strecke der Magnetschwebebahn selbst verbaut. Beide Produkte kommen aus einer Systemfamilie und sind hochverfügbar in den Fahrzeugen und der Applikation implementiert. Die HIMatrix-Steuerungen werden redundant – also zweikanalig im Sinne von hochverfügbarer Ausführung –  eingesetzt. Dies ist problemlos möglich, da sich die Applikation auf lineare Logik beschränkt. Im TSB wird pro Zug ein Leitrechner für die Verarbeitung der generischen Informationen eingesetzt. Über ihn werden die einzelnen Sicherheitsfunktionen in den Fahrzeugen gesteuert und überwacht. Dazu zählen beispielsweise die Überwachung des Schwebesystems, der Geschwindigkeit und des Bremsweges. Diese Leitrechner basieren auf einer Steuerung vom Typ HIMax von HIMA. In jedem Zugsegment des TSBs übernehmen zudem zwei redundante HIMatrix-Systeme wichtige Aufgaben. Sie sorgen z.B. nicht nur für die Steuerung der Bewegung und der magnetischen Schwebesysteme des TSBs, sondern steuern auch die Klimaanlage und die Türen des jeweiligen Zugsegments. Streckenseitig überwachen die Steuerungen von HIMA die Positionen der TSB-Fahrzeuge und verhindern damit Kollisionen.

Vorteile von COTS-Steuerungen zahlen sich für Max Bögl aus

Die Steuerungen von HIMA haben sich bereits in den anspruchsvollen Anwendungen der Prozessindustrie und Bahnindustrie bewährt. Für Unternehmen wie die Firmengruppe Max Bögl zahlt sich ihre Verwendung in vielfacher Hinsicht aus. Für Sicherheitssteuerungen in der Bahnindustrie gelten ganz ähnliche Anforderungen bezüglich der Ausfallwahrscheinlichkeit pro Stunde (probability of failure per hour, PFH) wie beispielsweise in der Prozessindustrie. Die ausgewählten Steuerungen von HIMA entsprechen dem Sicherheitsstandard SIL4 (gemäß CENELEC), sind nach einschlägigen internationalen Normen zertifiziert und effektiv gegen Cyberangriffe geschützt. Ein weiterer Vorteil: HIMA entwickelt Hard- und Software immer parallel. Firmware, Engineering und Sicherheitskonzept sind daher genau aufeinander abgestimmt. Das macht die HIMA Smart Safety Platform besonders zuverlässig, ihren Betrieb reibungslos und effizient. Das kommt nicht von ungefähr: In der Entwicklung und Produktion der HIMA Technologie wird bis zu 70 Prozent der Zeit auf Tests und Qualitätssicherung verwendet. Mit der HIMax Steuerung lassen sich für optimale Verfügbarkeit Systeme mit unterschiedlichem Redundanzgrad aufbauen.

Die gemäß CENELEC SIL4-zertifizierten HIMA-Steuerungen haben ihre Stärke bereits bei diversen Zulassungsverfahren in der Bahnindustrie ausspielen können, da sie als bereits zugelassene, vorzertifizierte Komponenten angesehen werden. Die Betriebssysteme  dieser Steuerungen basieren auf weltweit verfügbaren Standard-Programmiersprachen gemäß IEC 61131 und bieten Schnittstellen zu allen wichtigen Technologien wie Ethernet, RS485 oder RS232. Die Kommunikation erfolgt über offen zugängliche Protokolle wie CAN-Bus oder Profinet. Es steht jedoch mit Safe Ethernet auch ein leistungsfähiges HIMA internes Protokoll zur Verfügung über das Remote-I/O-Module der modularen Steuerungen angesprochen werden.

Die Standardisierung und weite Verbreitung von industrieüblichen Programmiersprachen gemäß IEC 61131 machen COTS-Steuerungen deutlich einfacher in der Handhabung und Instandhaltung. Sie bieten hohe Planungssicherheit, auch bezüglich der Ersatzteil-Verfügbarkeit oder Software-Updates. Damit lassen sich Betriebs- und Lebenszykluskosten bei gleichem Sicherheitslevel im Vergleich zu proprietärer Technik deutlich reduzieren. Solche Systeme bieten darüber hinaus eine hohe Zukunftssicherheit, da sie sich dank ihrer verschiedenen I/O-Module, der integrierten Schnittstellen zu diversen Bussystemen und ihrer leistungsstarken Prozessoren an zukünftige Anforderungen anpassen und sich relativ mühelos durch neue Funktionen ergänzen lassen. Systeme wie beispielsweise selbstfahrende Züge (automated train operation, ATO) – eben wie das TSB –, Bahnsteigabfertigungsverfahren mit Kameras, Türsteuerungen, Antriebstrangüberwachungen oder europaweite Zugsicherungsfunktionen lassen sich somit günstig mit einem durchgängigen COTS-Zugsicherungssystem realisieren.

Zusammenfassend sind COTS-Komponenten, welche auf Basis globaler Standards entwickelt werden einfacher zu integrieren und dabei kosteneffizienter als lösungsspezifische Systeme wie sie den Bahnmarkt in der Vergangenheit dominierten. Im Vergleich zu proprietären Systemen bietet COTS somit einige klare Vorteile: Aufgrund der Standard-Komponenten und hohen Stückzahlen sind COTS-Systeme deutlich günstiger in der Anschaffung. Sie erleichtern die Inbetriebnahme und Instandhaltung, bieten eine größere Freiheit in der Lieferantenauswahl für den Endkunden, lassen sich einfacher und zukunftssicherer programmieren und überzeugen mit kurzen Lieferzeiten und hoher Verfügbarkeit. Darüber hinaus ist der lange Lebenszyklus von bis zu 30 Jahren ein weiterer Vorteil der COTS-Technologie und ein Garant in die Investitionssicherheit.

Für uns hat die Verwendung von COTS-Steuerungen beim TSB viele Vorteile. Die beim TSB zum Einsatz kommenden Steuerungen vom Typ HIMax und HIMatrix sind nicht nur für den Einsatz bis zur höchsten Sicherheitsstufe SIL4 zertifiziert, sie erleichtern uns auch die Arbeit bei der Implementierung und vereinfachen als vorzertifizierte Komponenten zudem die Zulassung des TSBs. Wir konnten von der engen Zusammenarbeit mit HIMA bei den TSB-Testprojekten sehr profitieren. Unser Hauptziel, mit dem TSB ein schlüsselfertiges Future Mobility-Komplettsystem zu liefern, wurde mit den zukunftssicheren COTS-Steuerungen von HIMA wertvoll unterstützt.

Dr. Bert Zamzow, Bereichsleiter Transport System Bögl

Ihr Kontakt zu HIMA